Wie viele Frauen und Männer zählt die muslimische Gemeinschaft in der Schweiz?

Migration als Ursache für geschlechtsbezogene Unterschiede
Seit dem Ende der 1960er Jahre kommen viele muslimische Gastarbeiter zunächst ohne ihre Ehefrauen und Kinder in die Schweiz. Auch Frauen migrieren zwar bereits seit den 1960er Jahren in die Schweiz, jedoch viel seltener und hauptsächlich aus humanitären oder politischen Gründen. So zählt die muslimische Bevölkerung bis in die 1990er Jahre hinein weitaus mehr Männer als Frauen. Durch die Familienzusammenführung in den 1970er und 1980er Jahren, durch die Flucht vieler Familien im Rahmen der Jugoslawienkriege oder anderer kriegerischer Auseinandersetzungen in die Schweiz und letztlich auch durch die Gründung neuer Familien in der Schweiz unter Migrantinnen und Migranten zweiter oder dritter Generation, glichen sich die Frauen- und Männerquote immer weiter an. Zwischen 2016 und 2018 sind 53% der muslimischen Bevölkerung in der Schweiz männlich und 47% weiblich.
Gender-Unterschiede nach Nationalitäten
Es sind jedoch Unterschiede zwischen den verschiedenen Nationalitäten zu beobachten: Bei Musliminnen und Muslimen mit Schweizer, Türkischer sowie der Nationalität eines Maghreb- oder Balkanstaates reicht die Zahl der Frauen heute nahezu an jene der Männer heran. Dies sind zugleich die Personengruppen, die die grosse Mehrheit der Musliminnen und Muslime in der Schweiz bilden. Unter muslimischen Zuwanderern aus dem Nahen Osten, dem subsaharischen Afrika, den zentral- und südasiatischen Ländern, aber auch den EU und EFTA-Staaten ist der Anteil der Männer hingegen deutlich höher als jener der Frauen. Erklärungen hierfür liegen abermals in der Migrationsgeschichte begründet: Musliminnen und Muslime aus erstgenannten Ländergruppen haben sich mehrheitlich schon länger dauerhaft in der Schweiz niedergelassen und ihre Familien hier gegründet. Jene aus letztgenannten Ländern hingegen wandern noch immer häufig für kürzere Aufenthalte und folglich ohne ihre Familien in die Schweiz ein, – zum Beispiel zur Annahme einer weniger qualifizierten Arbeit oder auch zu Studienzwecken: Diese Personen sind meist männlich, weil es in vielen muslimischen Ländern sozial nicht akzeptiert ist, wenn Frauen ihren Wohnsitz alleine ins Ausland verlagern.
Anzahl Männer und Frauen
Quelle der Daten: Bundesamt für Statistik, Neuenburg, SE 2016-2018.
1. Datengrundlage
Für unsere Darstellung der soziodemographischen Daten zu Musliminnen und Muslimen in der Schweiz stützten wir uns auf Daten, die das Bundesamt für Statistik in Neuenburg öffentlich publiziert oder uns freundlicherweise zur Nutzung für die Redaktion dieser Webseite zur Verfügung gestellt hat. Unseren Auswertungen und Analysen liegen dabei unterschiedliche Erhebungen und Datenquellen zu Grunde:
- Zur Darstellung einzelner Daten wie beispielsweise der Anzahl an Musliminnen und Muslimen in den Kantonen legen wir die Strukturerhebung (SE) des Bundesamts für Statistik aus dem Jahre 2018 zugrunde. Zur Analyse der Entwicklung von Daten nutzen wir zudem bisweilen Daten aus den Strukturerhebungen 2014 und 2010. Die Strukturerhebung wird jährlich mit einer repräsentativen Stichprobe von 200‘000 Personen durchgeführt. Erfasst werden Personen der ständigen Wohnbevölkerung ab 15 Jahren, die in einem Privathaushalt leben. Die Verwendung dieser Datenquellen ist unter den jeweiligen Textteilen, Tabellen und Grafiken mit SE 2010, 2014 und 2018 angegeben.
- Damit die Anzahl der Teilnehmenden ausreichend und die Stichprobe statistisch aussagekräftig ist, wurden zur Untersuchung spezifischerer Merkmale teils über 3 Jahre kumulierte Ergebnisse der Strukturerhebungen verwendet. In diesem Fall haben wir uns auf die von 2016-2018 erhobenen Daten gestützt und es unter den jeweiligen Textteilen, Tabellen und Grafiken mit SE 2016-2018 angegeben.
- Voneinander abweichende Zahlen sind auf die notwendige Verwendung dieser unterschiedlichen Datengrundlagen (kumulierte und nicht kumulierte Ergebnisse der Strukturerhebungen) zurück zu führen (siehe 1 und 2).
- Trotz der Verwendung kumulierter Daten ist der Stichprobenumfang (n) nicht immer gross genug, um statistisch verlässliche Aussagen zu machen und Erklärungen abzuleiten. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn verschiedene soziodemographische Daten gekreuzt werden (z.B. Alter, Bildungnsniveau, Nationalität). In unseren Analysen betrifft dies zudem vor allem auf das Tessin bezogene Daten. In unseren Darstellungen werden Daten zum Tessin folglich teils nicht genutzt oder die hieraus abgeleiteten Beschreibungen in Form von groben Schätzungen formuliert.
- Personen mit Schweizer und einer weiteren Staatsbürgerschaft werden vom Bundesamt für Statistik und folglich auch in unseren Erläuterungen nicht doppelt aufgeführt, sondern ausschliesslich in der Gruppe der Personen mit Schweizer Staatsbürgerschaft gezählt.
- Vereinzelt werden Ergebnisse der Statistik der Bevölkerung und der Haushalte (angegeben als STATPOP) verwendet, diese basiert auf einer jährlichen Registererhebung (Personenregister des Bundes, der Kantone und Gemeinden sowie Bundesregister der Gebäude und Wohnungen) und erfasst Personen der ständigen und nicht ständigen Wohnbevölkerung über 15 Jahre.
- Erwähnung findet an einer Stelle die Erhebung Sprache, Kultur und Religion (ESKR) 2014 des Bundesamts für Statistik. Basierend auf einer Stichprobe von 10‘000 Personen wird diese Erhebung seit 2014 alle 5 Jahre durchgeführt. Sie umfasst Personen der ständigen Wohnbevölkerung ab 15 Jahren, die in Privathaushalten leben.
2. Zum Begriff Musliminnen/Muslime
In unseren Darstellungen der soziodemographischen Daten zu Musliminnen und Muslimen in der Schweiz verstehen wir unter Musliminnen und Muslimen diejenigen Personen, die in den Personenfragebögen der Strukturerhebungen 2010, 2014, 2016, 2017 und 2018 auf die Frage «Welcher Kirche oder Religionsgemeinschaft gehören Sie an?» mit «muslimische» geantwortet haben. Die Antwort auf diese Frage erlaubt jedoch keine Rückschlüsse auf den Grad der Religiosität der Befragten. Die erhobenen Daten umfassen sowohl Personen, die beispielsweise in eine muslimische Familie hineingeboren wurden, jedoch weder gläubig sind noch praktiziert (für die die Religionszugehörigkeit aber weiterhin wichtig ist), als auch solche, die sich nach besten Kräften bemühen, nach den Vorschriften ihrer Religion, wie z.B. Gebet, Fasten oder Ernährung, zu leben.
3. Definition der Sprachregionen
Für unsere Analysen verwenden wir zwei unterschiedliche Definitionen der Sprachregionen. Grundsätzlich legen wir eine Bestimmung der Sprachregionen zugrunde, die auf einer Zuordnung der Kantone in ihrer Gesamtheit beruht, d.h. einzelne Kantone wie z.B. Fribourg oder das Wallis werden nicht teils zur Romandie und teils zur deutschsprachigen Schweiz gezählt, sondern gehören aufgrund ihrer französischsprachigen Mehrheit zu ersterer. Diese Einteilung entspricht einer gängigen Unterscheidung, wie sie auch in den Medien reproduziert wird, beispielsweise in der Darstellung von Wahlergebnissen. Wir begründen sie jedoch vor allem damit, dass die im Weiteren auf unserer Homepage dargestellten Fragen der Religionszugehörigkeit und -Verwaltung kantonalen Regelungen (Art. 72 BV) unterliegen und von ihnen geprägt werden. Für die Darstellung islamischer Praktiken und Einrichtungen unter deutschsprachigen Muslimen im Kanton Fribourg ist es beispielsweise entscheidender, dass sie sich im Kanton Fribourg befinden und den dortigen rechtlichen Bestimmungen unterworfen sind als dass sie zur deutschsprachigen Sprachgemeinschaft gehören.
Die vom Bundesamt für Statistik veröffentlichten Daten legen hingegen eine Definition von Sprachregionen zugrunde, die auf der Zuordnung einzelner Kommunen beruht, so dass beispielsweise die Gemeinden des Wallis teils zur Deutschschweiz und teils zur Romandie gehören, während einige Berner Kommunen zur Romandie zählen. Wo uns keine anderen Daten zur Interpretation vorliegen, verwenden wir diese Definition der Sprachregionen, die jedoch nicht grundlegend von jenen nach oben beschriebener Bestimmung abweicht.
Wir bezeichnen als
italienischsprachige Schweiz: Tessin
französischsprachige Schweiz: Genf, Waadt, Wallis, Jura, Neuenburg, Fribourg
deutschsprachige Schweiz: alle übrigen Kantone
4. Definition der Herkunftsregionen
In unseren Darstellungen fassen wir jeweils unterschiedliche Länder zu übergeordneten geographischen Regionen zusammen. Wenn in unseren Texten von Nationalitäten die Rede ist, so wird nicht nach einzelnen Staatsangehörigkeiten unterschieden, sondern nach Gruppen von Staatsangehörigkeiten, z.B. „Muslime mit Nationalität eines Balkanstaates“. Zu den von uns berücksichtigten Herkunftsregionen zählen wir jeweils folgende Länder:
- Schweiz
- Maghreb: Tunesien, Algerien, Marokko, Libyen
- Naher Osten: Ägypten, Libanon, Syrien, Israel-Palästina, Irak, Golfländer (-> Saudi-Arabien, Kuwait, Oman, Katar, Bahrain, Vereinigten Arabische Emirate), Jemen, Jordanien
- Zentral- und Südasien: Iran, Afghanistan, Indien, Pakistan, Indonesien, Tadschikistan, Usbekistan, Russland, Bangladesch, Sri Lanka
- Balkanländer: Bosnien-Herzegowina, Albanien, Serbien, Mazedonien, Montenegro, Kosovo
- Türkei
- subsaharisches Afrika
- Muslime/innen aus EU- und EFTA-Ländern
Bibliografie
Literatur
- de Flaugergues, A. (2016). Religiöse und spirituelle Praktiken und Glaubensformen in der Schweiz. Erste Ergebnisse der Erhebung zur Sprache, Religion und Kultur 2014 (ESRK). Neuenburg.
- Fibbi, R., Kaya, B., Moussa, J., Pecoraro, M., Rossy, Y. & Steiner, I. (2014). Die marokkanische, die tunesische und die algerische Bevölkerung in der Schweiz. Bern: Bundesamt für Migration (BFM).
- Gianni, M., Giugni, M. & Michel, N. (2015). Les musulmans en Suisse. Profils et intégration. Lausanne: Presses polytechniques et universitaires romandes.
- Gianni, M., Schneuwly Purdie, M., Lathion, S., Jenny, M. (2010). Muslime in der Schweiz. Identitätsprofile, Erwartungen und Einstellungen. Eine Studie der Forschungsgruppe Islam in der Schweiz (GRIS). Bern: Eidgenössische Kommission für Migrationsfragen EKM.
- Iseni, B., Ruedin, D., Bader, D. & Efionayi-Mäder, D. (2014). Die Bevölkerung von Bosnien und Herzegowina in der Schweiz. Bern: Bundesamt für Migration (BFM).
- Lindemann, A. & Stolz, J. (2018). The Muslim Employment Gap, Human Capital, and Ethno-Religious Penalties: Evidence from Switzerland. Social Inclusion, 6 (2), 151-161.
- Schmid, H., Schneuwly Purdie, M., Lang, A. & Tunger-Zanetti, A. (2018). SZIG-Papers 4: Junge Muslime in der Gesellschaft. Partizipation und Perspektiven. Freiburg: Universität Freiburg.
- Schneuwly Purdie, M. (2010). De l’étranger au musulman. Immigration et intégration de l’islam en Suisse. Sarrebruck: Editions universitaires europeennes.
- Schneuwly Purdie, M., & Tunger-Zanetti, A. (2023). Switzerland. Country report 2021. In S. Akgönül, J. Nielsen, A. Alibasic, S. Müssig, & R. Egdunas (Éds.), Yearbook of Muslims in Europe (Brill, Vol. 14, p. 667‑683).
- Stegmann, R. & Schneuwly Purdie, M. (2019). SZIG-Papers 6. Der Umgang mit dem Erbe. Positionen von Muslimen und Musliminnen in der Schweiz. Freiburg: Universität Freiburg.
Zur Vertiefung
Literatur
- Arsever, E. (2015). Qui sont les Alévis-Baktashis ? Un regard intérieur. In Religioscope.
- Behloul, S. M. & Lathion, S. (2007). Muslime und Islam in der Schweiz: Viele Gesichter einer Weltreligion. In M. Baumann & J. Stolz (Hrsg.), Eine Schweiz – viele Religionen. Risiken und Chancen des Zusammenlebens (S. 223-237). Bielefeld: transcript.
- Eidgenössische Komission gegen Rassismus EKR (1999). Tangram 7. Muslime in der Schweiz.
- Haab, K., Bolzmann, C. & Kugler, A. & Yilmaz, O. (2010). Diaspora und Migrantengemeinschaften aus der Türkei in der Schweiz. Bern: Bundesamt für Migration (BFM).
- Piaget, E. (2005). L’immigration en Suisse, 60 ans d’entrouverture. Lausanne: Presses polytechniques et universitaires romandes.
- Schmid, H. & Trucco, N. (2019). SZIG-Papers 7. Bildungswege von Imamen aus der Schweiz. Freiburg: Universität Freiburg.
- Schneuwly Purdie, M., Gianni, M. & Magali, J. (2009). Musulmans d’aujourd’hui. Identités plurielles en Suisse. Genf: Labor et Fides.
- Zürcher, M. & Kübli, B. (2017). Islam in der Schweiz. Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften, 2.