Wie gut sind Musliminnen und Muslime in den Arbeitsmarkt integriert?

Der Arbeitsmarktstatus im Vergleich mit der Gesamtbevölkerung
Im Jahre 2018 waren etwas mehr als die Hälfte der Musliminnen und Muslime in der Schweiz erwerbstätig und ca. jede/r dritte zählte zu den sogenannten Nichterwerbspersonen (d.h. Personen in Ausbildung, Hausfrauen und -Männer sowie Rentnerinnen und Rentner). Diese Zahlen entsprechen ungefähr jenen der Schweizer Gesamtbevölkerung. Auffällig ist jedoch die im Vergleich zu letzterer mit 7,3% mehr als doppelt so hohe Arbeitslosenquote von Musliminnen und Muslimen.
Gründe für die tieferen Einstellungsraten
In einer Studie, basierend auf den Daten der Erhebung zu Sprache, Religion und Kultur des Bundesamts für Statistik (ESRK, 2014), haben Anaïd Lindemann und Jörg Stolz (2018) verschiedene Faktoren für die schlechteren Einstellungschancen von Personen mit muslimischem Hintergrund identifiziert.
Die Autoren machen hierfür zu 38% das häufig geringer ausfallende Sozialkapital (Bildungsniveau, Sprachkompetenzen, soziale Netzwerke) dieser Personen verantwortlich. In Bezug auf den Faktor Bildungsniveau ist dabei interessant, dass insbesondere zwei Gruppen seltener eine Anstellung finden als die Gesamtbevölkerung: Musliminnen und Muslime, die lediglich einen obligatorischen Schulabschluss besitzen sowie Musliminnen und Muslime mit Abschluss auf Tertiärstufe. Für solche mit höherer Schulausbildung oder Lehrabschluss gilt dies nicht in gleichem Masse.
Lindemann und Stolz stellen zudem fest, dass der Migrationshintergrund den schlechteren Zugang von Musliminnen und Muslimen zum Arbeitsmarkt zu 43,6% erklärt. Dabei fällt nicht so sehr ins Gewicht, ob sie zu den Einwanderern erster, zweiter oder dritter Generation gehören. Eben so wenig fällt ins Gewicht, ob diese Personen die Schweizer Staatsbürgerschaft besitzen oder nicht. Entscheidend ist vielmehr, aus welchen Regionen sie stammen: So haben Musliminnen und Muslime aus aussereuropäischen Kontexten, wie aus Nordafrika oder der Subsahara, eine weitaus geringere Chance auf eine Anstellung als solche, die aus einem europäischen Land in die Schweiz migrieren.
Schliesslich zeigen Lindemann und Stolz, dass die Religiosität (berechnet nach den Faktoren Gebetspraxis und Besuch von Gottesdiensten) hier nur zu 4,7% ins Gewicht fällt. Zur Messung lagen den Autoren hingegen keine Daten dazu vor, wie häufig Musliminnen im Rahmen ihrer Arbeitssuche benachteiligt werden, weil sie ein Kopftuch tragen. Berichte von Kopftuch tragenden Frauen weisen jedoch darauf hin, dass sie im Rahmen ihrer Arbeitssuche auf erhebliche Schwierigkeiten stossen.
Gesamtbevölkerung | Muslime/innen | Gesamtbevölkerung in % | Muslime/innen in % | |
Erwerbstätige | 4’359’547 | 208’760 | 61,5% | 56,1% |
Erwerbslose | 218’328 | 27’018 | 3,1% | 7,3% |
Nichterwerbspersonen | 2’506’193 | 136’540 | 35,4% | 36,7% |
Quelle der Daten: Bundesamt für Statistik, Neuenburg, SE 2018.
Unterschiede zwischen Männern und Frauen
Die Anzahl der Erwerbstätigen und der Erwerbslosen ist unter muslimischen Männern deutlich höher als unter muslimischen Frauen. Ob muslimische Frauen zudem öfters einer Teilzeitbeschäftigung nachgehen und Männer häufiger Vollzeit oder zu einem höheren Prozentsatz arbeiten, erlauben die uns vorliegenden Daten nicht zu sagen. Muslimische Frauen aller Nationalitäten sind jedoch deutlich häufiger nichterwerbstätig als muslimische Männer. Hieraus lässt sich eine Tendenz zu klassischen Familienmodellen schliessen, in denen Frauen häuslichen Tätigkeiten und der Kindererziehung nachgehen.
Arbeitsmarktstatus Musliminnen und Muslime
Unterschiede nach Bildungsstand
Der Arbeitsmarktstatus von muslimischen Männern ist im Vergleich zu jenem von muslimischen Frauen in allen drei Sprachregionen sehr ähnlich. Vergleicht man den Arbeitsmarktstatus von muslimischen Frauen unterschiedlicher Nationalitäten miteinander, so fällt jedoch auf, dass jene aus dem Maghreb und dem subsaharischen Afrika dreimal so häufig arbeitslos sind wie Schweizer Musliminnen und nahezu mehr als doppelt so oft wie Frauen mit Staatsangehörigkeit eines Balkanstaates und Türkinnen. Ähnliche Verhältnisse gelten bei den Männern gleicher Nationalitäten. Dies deutet auf eine Bestätigung der von Lindemann und Stolz aufgestellten These hin, dass Musliminnen und Muslime mit lediglich obligatorischem Schulabschluss (wie er unter Migrantinnen und Migranten aus dem
Datengrundlage
1. Datengrundlage
Für unsere Darstellung der soziodemographischen Daten zu Musliminnen und Muslimen in der Schweiz stützten wir uns auf Daten, die das Bundesamt für Statistik in Neuenburg öffentlich publiziert oder uns freundlicherweise zur Nutzung für die Redaktion dieser Webseite zur Verfügung gestellt hat. Unseren Auswertungen und Analysen liegen dabei unterschiedliche Erhebungen und Datenquellen zu Grunde:
- Zur Darstellung einzelner Daten wie beispielsweise der Anzahl an Musliminnen und Muslimen in den Kantonen legen wir die Strukturerhebung (SE) des Bundesamts für Statistik aus dem Jahre 2018 zugrunde. Zur Analyse der Entwicklung von Daten nutzen wir zudem bisweilen Daten aus den Strukturerhebungen 2014 und 2010. Die Strukturerhebung wird jährlich mit einer repräsentativen Stichprobe von 200‘000 Personen durchgeführt. Erfasst werden Personen der ständigen Wohnbevölkerung ab 15 Jahren, die in einem Privathaushalt leben. Die Verwendung dieser Datenquellen ist unter den jeweiligen Textteilen, Tabellen und Grafiken mit SE 2010, 2014 und 2018 angegeben.
- Damit die Anzahl der Teilnehmenden ausreichend und die Stichprobe statistisch aussagekräftig ist, wurden zur Untersuchung spezifischerer Merkmale teils über 3 Jahre kumulierte Ergebnisse der Strukturerhebungen verwendet. In diesem Fall haben wir uns auf die von 2016-2018 erhobenen Daten gestützt und es unter den jeweiligen Textteilen, Tabellen und Grafiken mit SE 2016-2018 angegeben.
- Voneinander abweichende Zahlen sind auf die notwendige Verwendung dieser unterschiedlichen Datengrundlagen (kumulierte und nicht kumulierte Ergebnisse der Strukturerhebungen) zurück zu führen (siehe 1 und 2).
- Trotz der Verwendung kumulierter Daten ist der Stichprobenumfang (n) nicht immer gross genug, um statistisch verlässliche Aussagen zu machen und Erklärungen abzuleiten. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn verschiedene soziodemographische Daten gekreuzt werden (z.B. Alter, Bildungnsniveau, Nationalität). In unseren Analysen betrifft dies zudem vor allem auf das Tessin bezogene Daten. In unseren Darstellungen werden Daten zum Tessin folglich teils nicht genutzt oder die hieraus abgeleiteten Beschreibungen in Form von groben Schätzungen formuliert.
- Personen mit Schweizer und einer weiteren Staatsbürgerschaft werden vom Bundesamt für Statistik und folglich auch in unseren Erläuterungen nicht doppelt aufgeführt, sondern ausschliesslich in der Gruppe der Personen mit Schweizer Staatsbürgerschaft gezählt.
- Vereinzelt werden Ergebnisse der Statistik der Bevölkerung und der Haushalte (angegeben als STATPOP) verwendet, diese basiert auf einer jährlichen Registererhebung (Personenregister des Bundes, der Kantone und Gemeinden sowie Bundesregister der Gebäude und Wohnungen) und erfasst Personen der ständigen und nicht ständigen Wohnbevölkerung über 15 Jahre.
- Erwähnung findet an einer Stelle die Erhebung Sprache, Kultur und Religion (ESKR) 2014 des Bundesamts für Statistik. Basierend auf einer Stichprobe von 10‘000 Personen wird diese Erhebung seit 2014 alle 5 Jahre durchgeführt. Sie umfasst Personen der ständigen Wohnbevölkerung ab 15 Jahren, die in Privathaushalten leben.
2. Zum Begriff Musliminnen/Muslime
In unseren Darstellungen der soziodemographischen Daten zu Musliminnen und Muslimen in der Schweiz verstehen wir unter Musliminnen und Muslimen diejenigen Personen, die in den Personenfragebögen der Strukturerhebungen 2010, 2014, 2016, 2017 und 2018 auf die Frage «Welcher Kirche oder Religionsgemeinschaft gehören Sie an?» mit «muslimische» geantwortet haben. Die Antwort auf diese Frage erlaubt jedoch keine Rückschlüsse auf den Grad der Religiosität der Befragten. Die erhobenen Daten umfassen sowohl Personen, die beispielsweise in eine muslimische Familie hineingeboren wurden, jedoch weder gläubig sind noch praktiziert (für die die Religionszugehörigkeit aber weiterhin wichtig ist), als auch solche, die sich nach besten Kräften bemühen, nach den Vorschriften ihrer Religion, wie z.B. Gebet, Fasten oder Ernährung, zu leben.
3. Definition der Sprachregionen
Für unsere Analysen verwenden wir zwei unterschiedliche Definitionen der Sprachregionen. Grundsätzlich legen wir eine Bestimmung der Sprachregionen zugrunde, die auf einer Zuordnung der Kantone in ihrer Gesamtheit beruht, d.h. einzelne Kantone wie z.B. Fribourg oder das Wallis werden nicht teils zur Romandie und teils zur deutschsprachigen Schweiz gezählt, sondern gehören aufgrund ihrer französischsprachigen Mehrheit zu ersterer. Diese Einteilung entspricht einer gängigen Unterscheidung, wie sie auch in den Medien reproduziert wird, beispielsweise in der Darstellung von Wahlergebnissen. Wir begründen sie jedoch vor allem damit, dass die im Weiteren auf unserer Homepage dargestellten Fragen der Religionszugehörigkeit und -Verwaltung kantonalen Regelungen (Art. 72 BV) unterliegen und von ihnen geprägt werden. Für die Darstellung islamischer Praktiken und Einrichtungen unter deutschsprachigen Muslimen im Kanton Fribourg ist es beispielsweise entscheidender, dass sie sich im Kanton Fribourg befinden und den dortigen rechtlichen Bestimmungen unterworfen sind als dass sie zur deutschsprachigen Sprachgemeinschaft gehören.
Die vom Bundesamt für Statistik veröffentlichten Daten legen hingegen eine Definition von Sprachregionen zugrunde, die auf der Zuordnung einzelner Kommunen beruht, so dass beispielsweise die Gemeinden des Wallis teils zur Deutschschweiz und teils zur Romandie gehören, während einige Berner Kommunen zur Romandie zählen. Wo uns keine anderen Daten zur Interpretation vorliegen, verwenden wir diese Definition der Sprachregionen, die jedoch nicht grundlegend von jenen nach oben beschriebener Bestimmung abweicht.
Wir bezeichnen als
italienischsprachige Schweiz: Tessin
französischsprachige Schweiz: Genf, Waadt, Wallis, Jura, Neuenburg, Fribourg
deutschsprachige Schweiz: alle übrigen Kantone
4. Definition der Herkunftsregionen
In unseren Darstellungen fassen wir jeweils unterschiedliche Länder zu übergeordneten geographischen Regionen zusammen. Wenn in unseren Texten von Nationalitäten die Rede ist, so wird nicht nach einzelnen Staatsangehörigkeiten unterschieden, sondern nach Gruppen von Staatsangehörigkeiten, z.B. „Muslime mit Nationalität eines Balkanstaates“. Zu den von uns berücksichtigten Herkunftsregionen zählen wir jeweils folgende Länder:
- Schweiz
- Maghreb: Tunesien, Algerien, Marokko, Libyen
- Naher Osten: Ägypten, Libanon, Syrien, Israel-Palästina, Irak, Golfländer (-> Saudi-Arabien, Kuwait, Oman, Katar, Bahrain, Vereinigten Arabische Emirate), Jemen, Jordanien
- Zentral- und Südasien: Iran, Afghanistan, Indien, Pakistan, Indonesien, Tadschikistan, Usbekistan, Russland, Bangladesch, Sri Lanka
- Balkanländer: Bosnien-Herzegowina, Albanien, Serbien, Mazedonien, Montenegro, Kosovo
- Türkei
- subsaharisches Afrika
- Muslime/innen aus EU- und EFTA-Ländern
Bibliografie
Literatur
- de Flaugergues, A. (2016). Religiöse und spirituelle Praktiken und Glaubensformen in der Schweiz. Erste Ergebnisse der Erhebung zur Sprache, Religion und Kultur 2014 (ESRK). Neuenburg.
- Fibbi, R., Kaya, B., Moussa, J., Pecoraro, M., Rossy, Y. & Steiner, I. (2014). Die marokkanische, die tunesische und die algerische Bevölkerung in der Schweiz. Bern: Bundesamt für Migration (BFM).
- Gianni, M., Giugni, M. & Michel, N. (2015). Les musulmans en Suisse. Profils et intégration. Lausanne: Presses polytechniques et universitaires romandes.
- Gianni, M., Schneuwly Purdie, M., Lathion, S., Jenny, M. (2010). Muslime in der Schweiz. Identitätsprofile, Erwartungen und Einstellungen. Eine Studie der Forschungsgruppe Islam in der Schweiz (GRIS). Bern: Eidgenössische Kommission für Migrationsfragen EKM.
- Iseni, B., Ruedin, D., Bader, D. & Efionayi-Mäder, D. (2014). Die Bevölkerung von Bosnien und Herzegowina in der Schweiz. Bern: Bundesamt für Migration (BFM).
- Lindemann, A. & Stolz, J. (2018). The Muslim Employment Gap, Human Capital, and Ethno-Religious Penalties: Evidence from Switzerland. Social Inclusion, 6 (2), 151-161.
- Schmid, H., Schneuwly Purdie, M., Lang, A. & Tunger-Zanetti, A. (2018). SZIG-Papers 4: Junge Muslime in der Gesellschaft. Partizipation und Perspektiven. Freiburg: Universität Freiburg.
- Schneuwly Purdie, M. (2010). De l’étranger au musulman. Immigration et intégration de l’islam en Suisse. Sarrebruck: Editions universitaires europeennes.
- Schneuwly Purdie, M., & Tunger-Zanetti, A. (2023). Switzerland. Country report 2021. In S. Akgönül, J. Nielsen, A. Alibasic, S. Müssig, & R. Egdunas (Éds.), Yearbook of Muslims in Europe (Brill, Vol. 14, p. 667‑683).
- Stegmann, R. & Schneuwly Purdie, M. (2019). SZIG-Papers 6. Der Umgang mit dem Erbe. Positionen von Muslimen und Musliminnen in der Schweiz. Freiburg: Universität Freiburg.
Zur Vertiefung
Literatur
- Arsever, E. (2015). Qui sont les Alévis-Baktashis ? Un regard intérieur. In Religioscope.
- Behloul, S. M. & Lathion, S. (2007). Muslime und Islam in der Schweiz: Viele Gesichter einer Weltreligion. In M. Baumann & J. Stolz (Hrsg.), Eine Schweiz – viele Religionen. Risiken und Chancen des Zusammenlebens (S. 223-237). Bielefeld: transcript.
- Eidgenössische Komission gegen Rassismus EKR (1999). Tangram 7. Muslime in der Schweiz.
- Haab, K., Bolzmann, C. & Kugler, A. & Yilmaz, O. (2010). Diaspora und Migrantengemeinschaften aus der Türkei in der Schweiz. Bern: Bundesamt für Migration (BFM).
- Piaget, E. (2005). L’immigration en Suisse, 60 ans d’entrouverture. Lausanne: Presses polytechniques et universitaires romandes.
- Schmid, H. & Trucco, N. (2019). SZIG-Papers 7. Bildungswege von Imamen aus der Schweiz. Freiburg: Universität Freiburg.
- Schneuwly Purdie, M., Gianni, M. & Magali, J. (2009). Musulmans d’aujourd’hui. Identités plurielles en Suisse. Genf: Labor et Fides.
- Zürcher, M. & Kübli, B. (2017). Islam in der Schweiz. Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften, 2.
Links
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