Antimuslimischer Rassismus in der Schweiz
Asmaa Dehbi, Universität Freiburg, 2024
Für viele Muslim:innen und Personen, die als solche wahrgenommen werden, ist antimuslimischer Rassismus eine alltägliche Realität. Eine Analyse des Bundesamtes für Statistik zeigt, dass die Bevölkerung gegenüber Muslim:innen tendenziell negativer eingestellt ist als gegenüber anderen sozialen Gruppen (BFS 2021:6). 34% der Schweizer Bevölkerung tendieren zu stark negativen Stereotypen gegenüber Muslim:innen. Im Jahr 2019 gaben 35% der Muslim:innen an, in mindestens einer konkreten Situation in der Schweiz Opfer von rassistischer Diskriminierung geworden zu sein (BFS 2020:28). Dabei nennen 69.8% der Muslim:innen die Nationalität und 68.7% die Religion als Motiv für die Diskriminierung (BFS 2023). Ziel dieses Artikels ist es aufzuzeigen, was antimuslimischer Rassismus ist, wie er funktioniert, wo er sich in medialen und politischen Diskursen manifestiert und welche Auswirkungen er auf die Lebensrealität von Betroffenen hat.
Was ist und wie funktioniert antimuslimischer Rassismus?
Antimuslimischer Rassismus ist eine Form des kulturellen Rassismus oder Neo-Rassismus, die sich gegen Muslim:innen richtet. Allerdings können auch Personen, die sich selbst nicht als Muslim:innen identifizieren, von antimuslimischem Rassismus betroffen sein. So etwa Personen, die aufgrund ihres Namens, ihrer Herkunft oder ihres Aussehens (z.B. langer Bart, Kopftuch oder Turban) als Muslim:innen wahrgenommen werden, aber nicht dem islamischen Glauben angehören. Rassismus gegenüber Muslim:innen oder als Muslim:innen wahrgenommene Personen funktioniert ähnlich wie andere Rassismen und hat eine lange historische Tradition, die eng mit der kolonialen Geschichte Europas verbunden ist. Dabei wurde und wird eine Bevölkerungsgruppe als anders, fremd und nicht zugehörig konstruiert.
Antimuslimischer Rassismus basiert erstens darauf, dass Muslim:innen entlang von Herkunft, Religion und Kultur bestimmte Eigenschaften zugeschrieben werden. Sie werden kollektiv verdächtigt, rückständig, gewalttätig, fremdbestimmt, antidemokratisch, sexistisch, homophob und antisemitisch zu sein. Zweitens wird eine Kollektivität hergestellt, indem angenommen wird, dass alle oder die Mehrheit der Muslim:innen diese Eigenschaften besitzen. Drittens erfolgt eine Abgrenzung, indem betont wird, dass Muslim:innen anders sind als die eigene Gruppe. Dieser Prozess der Rassifizierung führt dazu, dass muslimische Personen oder jene, die als solche wahrgenommen werden, abgewertet werden. Die Betroffenen haben dann oft Schwierigkeiten, Zugang zu wichtigen Bereichen der Gesellschaft zu erhalten. Antimuslimischer Rassismus kann zu Diskriminierung im Alltag, auf dem Wohnungsmarkt, bei der Arbeitssuche sowie zu Gewalt und Angriffen gegen Muslim:innen und muslimische Einrichtungen führen. Dabei wird das, was als «Wissen» über Muslim:innen gilt, oftmals über Literatur, Musik, Kunst, Wissenschaft, Lehrbücher, Alltagskultur, vor allem aber über Medien und politische Debatten transportiert.
Rassifizierung von Muslim:innen in medialen und politischen Diskursen
Die Anschläge des 11. September 2001 markieren ein entscheidendes globales Ereignis, das die öffentliche Diskussion über Muslim:innen in der Schweiz massgeblich beeinflusst hat. Seitdem werden Muslim:innen in den Medien vermehrt als problematisch dargestellt. Der Fokus auf Radikalisierung und Terrorismus nahm stetig zu, so dass im ersten Halbjahr 2017 etwa jeder zweite Medienbeitrag über den Islam und Muslim:innen in der Schweiz diesem Thema gewidmet war (Ettinger, 2018:14–15). Gerade im Hinblick auf die Berichterstattung zu Terrorismus überwiegt eine undifferenzierte Darstellung, die nicht aktiv zwischen Muslim:innen und Terrorist:innen unterscheidet. Dadurch sind die öffentlichen Debatten zu Islam und Muslim:innen stark von einer sogenannten Versicherheitlichung geprägt. Darunter versteht man die Rahmung eines Phänomens als Bedrohung (Buzan, Wæver & de Wilde 1998). Dies führt dazu, dass zwischen «guten» und «schlechten» Muslim:innen unterschieden wird (Mamdani 2004).
Muslim:innen werden auch im Rahmen von Initiativen, Abstimmungen, aber auch politischen Vorstössen öffentlich zum Thema gemacht und rassifiziert. So zeigt sich, dass im nationalen Parlament relativ viele politische Vorstösse zu Islam und Muslim:innen eingereicht werden (Institut für Religionsrecht 2024). Die Annahme der Minarettverbots-Initiativen in der Schweiz Ende November 2009 ist ein eindrückliches Beispiel für antimuslimischen Rassismus auf verfassungsrechtlicher Ebene. Insbesondere die nationalen Debatten im Vorfeld des Verbots haben stark zur Vorstellung beigetragen, dass Muslim:innen in der Schweiz ein Problem darstellen und die soziale und politische Sichtbarkeit ihrer kulturellen und religiösen Ausdrucksformen und Praktiken deutlich eingeschränkt werden müssen (Gianni 2016:28). Weiter kann auf nationaler Ebene die Annahme der Verhüllungsverbot-Initiative Anfang 2021 als zentrales Ereignis genannt werden. Der Text der Verhüllungsverbot-Initiative war im Gegensatz zum Minarettverbot zwar allgemein gehalten und verlangte, dass in der Schweiz niemand sein Gesicht verhüllen darf. Die Debatten vor der Abstimmung kreisten im Gegensatz zum allgemein formulierten Initiativtext aber fast ausschliesslich um Muslim:innen bzw. insbesondere um muslimische Frauen.
Auch auf kantonaler Ebene wird der Islam von allen Religionen mit Abstand am meisten und am umstrittensten thematisiert (Amman und Pahud de Mortanges 2019). So gab es mehrere Vorstösse für ein Kopftuchverbot in der Romandie zwischen 2010 und 2016. Im Kanton Tessin wurde 2013 und im Kanton St. Gallen 2018 ein Verhüllungsverbot verankert. Im Kanton Genf wurde 2018 das sogenannten Laizitätsgesetzes im angenommen, das allen Staatsangestellten das Tragen von sichtbaren Zeichen der Religionszugehörigkeit verbietet. Wie beim nationalen Verhüllungsverbot sind damit grundsätzlich alle Personen adressiert. Faktisch sind jedoch hauptsächlich Frauen davon betroffen, die ein Kopftuch tragen.
Antimuslimischer Rassismus als strukturelle und intersektionale Herausforderung
Die skizzierten medialen und politischen Diskurse haben direkte Auswirkungen im Alltag von Betroffenen. Insbesondere in der Arbeitswelt werden hohe Diskriminierungsraten von Muslim:innen festgestellt. Eine Studie der Universität Lausanne kam etwa zum Schluss, dass Muslim:innen ein 2.4-mal höheres Risiko als Nicht-Muslim:innen, arbeitslos zu sein (Lindemann und Stolz 2018:156). Dabei ist das Arbeitslosigkeitsrisiko besonders bei Muslim:innen mit Hochschulabschluss hoch. Das zeigt, dass antimuslimischer Rassismus ein strukturelles Problem ist, weil er sich nicht nur in den Äusserungen und Handlungen einzelner Personen ausdrückt, sondern systematisch in wichtigen Lebensbereichen (z. B. Arbeit, Bildung, Gesundheit) vorkommt.
Darüber hinaus deutet eine Studie aus Deutschland darauf hin, dass besonders Frauen mit Kopftuch auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt sind. Eine Frau türkischen Namens mit Kopftuch muss 4.5 Mal mehr Bewerbungen verschicken als eine Bewerberin mit deutschem Namen ohne Kopftuch (Weichselbaumer 2016:17). Im Bereich der Berufsbildung konnte gezeigt werden, dass es für Frauen mit Kopftuch auch mit ausgezeichneten Zeugnissen schwierig ist, eine Lehrstelle zu finden (Gasser 2020:276). Ausserdem wird der Bildungszugang zusätzlich erschwert, wenn weitere Differenzdimensionen wie Körper (z.B. Hautfarbe), Schichtzugehörigkeit oder Migrationsbezug hinzukommen. So konnte anhand eines Fallbeispiels verdeutlicht werden, wie eine junge Schwarze Frau, die ein Kopftuch trägt, «beinahe täglich alltagsrassistischen Anfeindungen ausgesetzt» (Gasser 2020:225) ist. Daran zeigt sich, wie verschiedene Differenzdimensionen miteinander verflochten sind und sich gegenseitig verstärken können.
Muslim:innen als Projektionsfläche
Diskurse über Islam und Muslim:innen zeigen einerseits, wie Bedrohungsszenarien über eine «Islamisierung» der Schweiz bedient und Stereotype einer vermeintlichen Überfremdung und Unterwanderung durch Muslim:innen reproduziert werden. Andererseits werden muslimische Frauen als rückständig und fremdbestimmt und der muslimische Mann als sexistisch gezeichnet, während nicht-muslimischen Schweizer Bürger:innen die Geschlechtergleichheit als charakteristisches Merkmal zugeschrieben wird. Sicherheitsfragen, Fundamentalismus, Gewalt und Geschlechterdiskriminierung können so zu einem ausschliesslich muslimischen Problem gemacht werden. Dadurch werden diese Themen gewissermassen «islamisiert». Die Projektion von gesamtgesellschaftlichen Missständen auf Muslim:innen dient der Mehrheitsgesellschaft, weil sie dadurch entlastet wird. Zum Beispiel kann die immer noch vorhandene Benachteiligung von Schweizerinnen systematisch ausgeblendet und der Sexismus der Schweizer:innen als individuelles Problem gesehen werden, während der Sexismus der Muslim:innen als «angeborene» Wesenseigenschaft gilt. Es ist daher wichtig, ein Verständnis für die Funktionsweise und die Auswirkungen von antimuslimischem Rassismus zu entwickeln, um die Zuschreibungs- und Diskriminierungserfahrungen von Muslim:innen und als muslimisch markierten Personen in der Schweiz benennen und bekämpfen zu können.
Bibliografie
Literatur
Ammann, Max & René de Pahud Mortanges (2019). Religion in der politischen Arena. Eine Auswertung parlamentarischer Vorstösse auf kantonaler Ebene. Freiburg: Institut für Religionsrecht, Universität Freiburg.
Buzan, Barry, Ole Wæver & Jaap de Wilde (1998). Security. A New Framework for Analysis. Colorado: Lynne Rienner Publishers.
Gasser, Nathalie (2020). Islam, Gender, Intersektionalität. Bildungswege junger Frauen in der Schweiz. Bielefeld: transcript.
Gianni, Matteo (2016). Muslims’ integration as a way to defuse the “Muslim Question”: insights from the Swiss case. Critical Research on Religion, 4(1), 21–36.
Mamdani, Mahmood (2004). Good Muslim, Bad Muslim. America, the Cold War, and the Roots of Terror. New York: Pantheon Books.
Weichselbaumer, Doris (2020). Multiple Discrimination against Female Immigrants Wearing Headscarves. ILR Review, 73(3), 600‒627. Bonn: Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit IZA.