«Unser primäres Ziel ist es nicht, die Aufmerksamkeit der Medien auf die Diskriminierungsfälle zu lenken, die uns beschäftigen. Wir sehen es als unsere Aufgabe an, effektive und lösungsorientierte Beratung anzubieten»
Nermina Ademovic, Rechtsreferentin des FIDS
Diskriminierung – Wahrnehmung, gemeldete Fälle und Arbeitswelt
Diskriminierung: ein gesellschaftliches Problem
Zahlreiche Studien zeigen, dass das Thema der Diskriminierung die Schweizer Bürgerinnen und Bürger sehr stark beschäftigt. Nach einer Studie des Bundes aus dem Jahre 2018 haben 28% der Befragten angegeben, in den fünf Jahren vor der Umfrage irgendeine Form von Diskriminierung erlebt zu haben. 17% der Befragten berichteten, dass sie mit rassistischer Diskriminierung konfrontiert waren, die sich auf ihre Nationalität, ethnische Herkunft, Religion, Hautfarbe oder andere körperspezifische Merkmale bezog (ZidS-Umfrage, 2018). Bei bestimmten Gruppen ist die Auffassung, Opfer von Diskriminierung zu sein, dabei besonders hoch. So haben Musliminnen und Muslime den Eindruck, als Religionsgemeinschaft in allen Bereichen des Alltagslebens (Arbeit, Verwaltung, Gesundheit und Kultur) durchschnittlich stärker diskriminiert zu werden als christliche Konfessionen, egal ob es sich dabei um die grossen Kirchen oder Minderheitengruppen handelt. Gemäss einer jüngeren Studie (Lindemannnn & Stolz, 2020), die auf den Daten der Erhebung zur Sprache, Religion und Kultur (ESRK) des Bundesamts für Statistik aus dem Jahre 2014 basiert, geben 40% der Musliminnen und Muslime an, in mindestens einem der oben genannten Bereiche diskriminiert worden zu sein, während diese Zahl bei den anderen Gruppen, die im Zentrum der Studie standen (christliche Mehrheits- und Minderheitengruppen) nur knapp über 14% liegt. Ein weiterer Befund besteht darin, dass diese Wahrnehmung bei Personen muslimischer Kultur und/oder Religion unabhängig davon vorhanden ist, welchen sozioökonomischen Status sie haben. Die Diskriminierung ist also, zumindest gemäss dieser Daten, nicht vom sozialen Stand der Befragten abhängig.
Die Daten vom Beratungsnetz des Bundes
Die Zahlen der vom Bund gemeldeten Fällen von Rassismus und Diskriminierung in der Schweiz ergeben ein Bild, das einen Teil der oben erwähnten Wahrnehmungen bestätigt. Neben altbekannten Formen des Rassismus, wie sie sich in Form von Fremdenfeindlichkeit oder Feindseligkeit gegenüber Schwarzen Menschen äussern, haben sich im Laufe der Jahre neue rassistische Ausdrucksformen entwickelt. So stehen die Feindseligkeit gegenüber Musliminnen und Muslimen sowie antiarabischer Rassismus im Jahr 2021 auf dem dritten oder vierten Platz der Rangliste. Dies deutet darauf hin, dass Rassismus sowohl «biologisch» als auch «kulturell» gefärbt sein kann. Weitere Hinweise aus den Berichten des Bundes zeigen zudem, dass sich die meisten rassistischen Vorfälle am Arbeitsplatz, im öffentlichen Raum, in der Verwaltung und in der Nachbarschaft ereignen; in Bereichen, in denen rassistische und diskriminierende Akte leichter identifizierbar scheinen (EKR/humanrights.ch, 2022).
Musliminnen und Muslime auf dem Arbeitsmarkt
Musliminnen und Muslime stossen auf dem Arbeitsmarkt auf grössere Hindernisse als die übrige Bevölkerung. Verschiedene in der Schweiz durchgeführte Untersuchungen zeigen, dass Musliminnen und Muslime ein im Vergleich mit der nichtmuslimischen Bevölkerung 2,5fach höheres Risiko haben, arbeitslos zu sein. Während dieses Ergebnis unter Expertinnen und Experten Konsens hervorruft, ist es weitaus schwieriger, die Gründe hierfür zu verstehen. Können wir aus dieser Statistik schliessen, dass Musliminnen und Muslime aufgrund ihres Glaubens diskriminiert werden? Die Antwort ist alles andere als offensichtlich. Die Studie von Stolz & Lindemann (vgl. ebd.) zeigt, dass diese Kluft im Zugang zu einem Grossteil durch die Faktoren Sozialkapital (Bildungsniveau, Sprachkompetenzen, soziale Netzwerke; zu 38% verantwortlich) und Migrationshintergrund (zu 43,6% verantwortlich) erklärbar wird, während Religiosität hier nur eine unterordnete Rolle zu spielen scheint (zu 4,7%) verantwortlich. Es muss jedoch hinzugefügt werden, dass Religiosität hier einzig an den Kriterien Gottesdienstbesuch und Gebetspraxis gemessen wurde, zur Messung lagen den Autoren hingegen keine Daten dazu vor, wie häufig Musliminnen im Rahmen ihrer Arbeitssuche benachteiligt werden, weil sie ein religiös konnotiertes Zeichen wie z.B. das Kopftuch tragen. Ferner zeigt die Studie von Lindemann & Stolz (vgl. ebd.), dass Musliminnen und Muslime mit einer Hochschulausbildung nicht von weniger Schwierigkeiten bei der Stellensuche betroffen zu sein scheinen, sondern es im Gegenteil teils noch schwerer haben, eine Arbeitsstelle zu finden als diejenigen, die ihre Ausbildung nach der obligatorischen Schule beenden. Dies ist ein Ergebnis, das im Widerspruch zu einer Reihe von Studien steht, die auf europäischer Ebene durchgeführt wurden.
(Nur) eine Frage der Sichtbarkeit?
Im Falle von diskriminierendem Verhalten gegenüber Personen muslimischen Glaubens scheint die religiöse Sichtbarkeit ein wichtiger zu berücksichtigender Faktor zu sein. Hiermit sind zum Beispiel Zeichen gemeint, die symbolisch Zugehörigkeiten markieren wie das Kopftuch. Bisher existieren keine quantitativen Studien, die den Zusammenhang zwischen dem Tragen eines Kopftuchs und Diskriminierung untersuchen. Es kann jedoch gesagt werden, dass das Tragen des Kopftuchs in der Schule, am Arbeitsplatz sowie allgemein im öffentlichen Raum noch immer ein grosses Diskussionsthema öffentlicher Debatten darstellt. Eine jüngere Studie zeigt, dass Menschen muslimischen Glaubens, die Vereine besuchen, tendenziell stärker mit Diskriminierung konfrontiert sind als weniger engagierte Musliminnen und Muslime (vgl. ebd.). Womöglich kann dies darauf zurückgeführt werden, dass religiösere Personen stärker zu ihrer Religiosität stehen (z.B. auch indem sie religiös konnotierte Kleidung tragen) und folglich zur Zielscheibe diskriminierender Blicke und Kommentare werden. Es könnte auch daran liegen, dass Diskriminierung innerhalb der muslimischen Vereine besprochen und folglich für ihre Mitglieder zu einem wichtigen Thema wird. Die Durchführung weiterer Studien könnten uns Elemente einer Antwort liefern.
Das Engagement muslimischer Organisationen gegen Diskriminierung
Das Thema Diskriminierung wir auch in muslimischen Organisationen sehr ernst genommen. Um diskriminierenden Tendenzen entgegenzuwirken, werden auf der Verbandsebene eine Reihe von Aktivitäten organisiert. Diese zielen insbesondere darauf ab, die Vorurteile und Stereotypen zu bekämpfen, unter denen Musliminnen und Muslime heute leiden. Initiativen können z.B. in Tagen der offenen Tür bestehen, an denen sich die Gemeinschaft der Öffentlichkeit präsentiert, oder in der Teilnahme von durch Bund und Kantone organisierten Veranstaltungen wie der «Aktionswoche gegen Rassismus.»
Auf nationaler Ebene lancierte die Föderation Islamischer Dachorganisationen Schweiz (FIDS) im Jahr 2017 eine APP (FIDS report APP). Diese App soll es jeder Person, die Diskriminierung erfahren hat, ermöglichen, eine angemessene Beratung und Unterstützung zu erhalten. Dieses Projekt soll das Angebot ergänzen, das der Bund bereits über sein Beratungsnetz bereitstellt. Es sei darauf hingewiesen, dass auch andere religiöse Organisationen wie der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) auf nationaler Ebene oder die Gemeinschaftsübergreifende Koordinationsstelle gegen Antisemitismus und Diffamierung (CICAD) in der Westschweiz über langjährige Erfahrung in diesem Bereich sowie über Mittel verfügen, Personen mit Diskriminierungserfahrungen zu begleiten.
Bibliografie
Literatur
Lindemann, A. & Stolz, J. (2020). Perceived discrimination among Muslims and its correlates. A comparative analysis. Ethnic and Racial Studies.
Links
Bundesamt für Statistik (BFS): Erhebung zur Sprache, Religion und Kultur (ESRK), Neuenburg.
Zur Vertiefung
Literatur
Bayrakli, E. & Hafez, F. (2022). European Islamophobia Report 2021, Leopold Weiss Institute.
Direnberger, L., Banfi, E., & Eskandari, V. (2022). Locating the threat, rebordering the nation: Gender and Islamophobia in the Swiss Parliament, 2001–2015. European Journal of Women’s Studies, 29(3).
Eidgenössische Komission gegen Rassismus EKR (2017). Berufswelt. Tangram 29.
Eskandari, V., & Banfi, E. (2017). Institutionalising Islamophobia in Switzerland: The Burqa and Minaret Bans. Islamophobia Studies Journal, 20(10), 53‑71.
Lindemann, A., & Stolz, J. (2014). Use of Islam in the Definition of Foreign Otherness. Islamophobia Studies Journal, 2(1), 44‑58.
Schneuwly Purdie, M., Biasca, F., Schmid, H. & Lang, A. (2020). SZIG-Papers 9. Sichtbarer Islam am Arbeitsplatz? : Ein Thema für Arbeitnehmende und Arbeitgebende. Fribourg: Universität Fribourg.
Links
Anlauf- und Rechtsberatungsstelle der FIDS.
Beratungsnetz für Rassismusopfer.
Fachstelle für Rassismusbekämpfung (FRB).
Podcast
Fachstelle für Rassismusbekämpfung (FRB), Reden wir! 20 Stimmen zu Rassismus.