DER ISLAM IN SCHWEIZER MUSEEN AM BEISPIEL DES MUSEUMS FÜR ISLAMISCHE ZIVILISATIONEN (MUCIVI) IN LA CHAUX-DE-FONDS

Diletta Guidi, Universität Freiburg, 2024

Eine weltweite Museums-Islamania

In den 2000er Jahren wurden die Museen weltweit von einer regelrechten Islamania ergriffen. Plötzlich wollten sich alle dem Thema Islam widmen und überall wurden Gebäude eröffnet oder renoviert, die sich der islamischen Kunst widmen. Zwar sorgten die Anschläge vom 11. September 2001 für eine gewisse Furcht vor dem Islam und den MuslimInnen, gleichzeitig wuchs aber auch das Interesse an diesem Thema. Diese wachsende Neugier wurde von Museen und Medien breit aufgegriffen. Anders als westliche Medien, die in Bezug auf Angehörige der islamischen Glaubensgemeinschaft in der Regel meist einen eher alarmistischen Ton anschlagen, bemühten sich die Museen, ein friedliches Bild des Islams zu vermitteln. Vor dem Hintergrund des Terrorismus sahen die Behörden mehrerer Länder (Frankreich, USA, Grossbritannien, Katar, Vereinigte Arabische Emirate, Indonesien usw.) eine neue Aufgabe für Kulturinstitutionen, nämlich einen alternativen Diskurs zum Islam anzuregen. Gemeinhin wird diese Religion entweder mit Gewalt und Barbarei assoziiert oder im Gegensatz dazu als äusserst friedlich und kultiviert dargestellt. In den Museen ist der Obskurantismus einem aufgeklärten Islam gewichen.[1]

Ein Fall aus der Schweiz: Die Sonderstellung eines dem Islam gewidmeten Museums

Wie die Gründung des Museums für islamische Zivilisationen (MUCIVI) in La Chaux-de-Fonds zeigt, kam es auch in der Schweiz zu diesem Besänftigungsprozess über den Weg der Kunst. Die Entstehungsgeschichte dieser Einrichtung ist jedoch einzigartig. Im Gegensatz zu anderen Islam-Museen geht das MUCIVI nämlich nicht auf eine staatliche Initiative zurück. Vielmehr war es hier die lokale muslimische Gemeinschaft, die das Projekt initiierte.

Eröffnet wurde das Museum 2016 auf Anregung von Nadia Karmous, der Präsidentin der Vereinigung für muslimische Frauen in der Schweiz (Association culturelle des femmes musulmanes de Suisse). Seitdem leitet sie das erste Museum des Landes, das sich ausschliesslich dem Islam widmet. Zwar gibt es bereits Sammlungen islamischer Objekte, zum Beispiel im Ariana-Museum in Genf oder im Kunsthaus Zürich, aber keine von ihnen hat die Grösse, den chronologischen Umfang oder den einmaligen Auftrag des MUCIVI.

Das Museum in La Chaux-de-Fonds erstreckt sich über 750 m2 und dokumentiert die Geschichte des Islams von der vorislamischen Zeit (vor seiner Entstehung im 7. Jahrhundert n. Chr.) bis heute. Als Schnittstelle zwischen Gesellschafts-, Geschichts- und Kunstmuseum will es das Bild eines «positiven Islams»[2] und einer muslimischen Gemeinschaft vermitteln, die gut in die lokalen Sozialstrukturen eingebunden ist. In diesem Zusammenhang schien die Wahl des Ortes von entscheidender Bedeutung zu sein.

Abbildung 1. Bildnachweis Andrea Rota

Das MUCIVI befindet sich nämlich in einem ehemaligen Uhrmachergebäude im Jugendstil, das als lokales Kulturerbe anerkannt ist und fügt sich nahtlos in das architektonische und kulturelle Bild der Uhrenstadt ein. Die Aussenarchitektur, die den Einwohnerinnen und Einwondern von La Chaux-de-Fonds bestens vertraut ist (Abb.1), trägt zur Verbundenheit und Solidarität zwischen der muslimischen Gemeinschaft und der gastgebenden Jura-Gemeinschaft bei.

Abbildung 2

Das Weiss der schlichten Innenräume steht für einen «transparenten», offenen Islam – ein Gegensatz zur Abschottung oder zum Kommunitarismus, die MuslimInnen auch in der Schweiz manchmal zum Vorwurf gemacht werden. Selbst die orientalischen Dekorationen, die man auf dem Rundgang entdeckt, zum Beispiel die Moucharabieh im Treppenhaus (Abb. 2), sind in einem zeitgenössischen Stil gehalten und zeugen von der Modernisierungsfähigkeit des Islam.

Für manche ein verdächtig positives Bild des Islams 

In diesem Zusammenhang ist die Wahl des Namens für das Museum für islamische Zivilisationen nicht unbedeutend. Gemeint ist hier die Verwendung des Begriffs «Zivilisationen», der sich auf eine politische, historische und kulturelle Einheit bezieht und ein Gegengewicht zur religiösen Bedeutung des Wortes «Islam» darstellt, das im Allgemeinen weniger positiv behaftet ist. Die zivilisatorische, sich entwickelnde und fortschrittliche Seite des Islams sollte mit diesem Namen bewusst betont werden. Dennoch blieb das MUCIVI nicht von Kritik verschont. Die SVP, eine Schweizer Partei aus dem äussersten rechten Rand des politischen Spektrums, und einige Einwohnerinnen und Einwohner der Stadt kritisierten «den Kommunitarismus des Projekts»[3] und riefen vor Ort zu Demonstrationen auf. Neben antimuslimischen Vorurteilen ging es bei der Kontroverse rund um das MUCIVI auch um die Finanzierung der Einrichtung. Denn die für den Bau investierten 4 Millionen Schweizer Franken stammten von Geldgebenden aus der Golfregion und man befürchtete eine mögliche ideologische Einmischung in die Angelegenheiten des Museums, was dessen Unabhängigkeit in Frage stellte. Ähnliche Bedenken waren vier Jahre zuvor auch in der Abteilung für Islamische Kunst des Louvre aufgetaucht. Diese Einrichtung wird weitgehend von arabisch-muslimischen Ländern, insbesondere von Saudi-Arabien (neben Kuwait, Marokko, Oman und Aserbaidschan) finanziert und angesichts der «grosszügigen Gesten» vermutete man einen politischen Einfluss, möglicherweise gar bis in die französische Regierungsebene hinein.

Im Spannungsbereich zwischen einer politisierenden und neutralen Kulturbotschaft

In der Schweiz ging die Kritik an der ausländischen Finanzierung des MUCIVI mit Vorwürfen einher, wonach die Direktorin, die (über eine gleichnamige Stiftung) auch Eigentümerin des Museums-Gebäudes ist, mit der Muslimbruderschaft in Verbindung stehe. Die Lokalpresse titelte dazu: «Die Muslimbruderschaft wirft einen Schatten auf das demnächst eröffnete Museum».[4] Einige Stimmen behaupteten, das Museum sei in Wirklichkeit eine Art muslimisches Trojanisches Pferd, um über den Weg der Kultur eine islamische Herrschaft über das Gebiet durchzusetzen. Das Museum und sein Leitungsteam, insbesondere der Museologe Olivier Schinz, der damals auch Konservator am Ethnografischen Museum in Neuenburg war, bemühten sich um eine Beschwichtigung dieser kontroversen Diskussionen und verneinten jegliche Verbindung zwischen dem Museum und irgendeiner politisch-religiösen Ideologie. Das Museum sieht sich selbst als eine politisch neutrale Einrichtung.[5] Diese Neutralität stellt jedoch einen Gegensatz zur Botschaft des Museums dar, verfolgt es doch das Ziel, dem Schweizer Publikum und insbesondere Nicht- MuslimInnen ein positives Bild des Islams zu vermitteln und damit zur Integration dieser Glaubensanhängerinnen und -anhänger in das Land beizutragen.

Kultur, die ein «moderates» Bild von Gläubigen vermittelt

«Heutzutage wird die blosse Erwähnung des Wortes Islam allzu oft mit einer Reihe von obskuren Wörtern und Bildern assoziiert. Doch man darf dabei nicht vergessen, dass die MuslimInnen, die ersten Opfer der im Namen des Islams ausgeübten Gewalt, Überbringende einer fünfzehn Jahrhunderte langen Geschichte sind», erklärt das Präsentationsvideo des Museums. Diese Jahrhunderte, die geografisch betrachtet von der Arabischen Halbinsel aus einen Einfluss auf die ganze Welt hatten, sind das Thema der Dauerausstellung. Eingebettet in eine hochmoderne Umgebung taucht das Publikum mithilfe neuster virtueller Medien in die Geschichte des Islams ein, der sowohl als eine Religion als auch eine Zivilisation dargestellt wird. Diese Vermischung von Religion, Politik und Kultur trägt ganz im Sinne des Namens des Museums zur friedensstiftenden Mission des MUCIVI bei. Denn das Religiöse wird auf diese Weise in das Kulturelle integriert, «gemäßigt» und wirkt auf die Besucherinnen und Besucher beim Gang durch die Räume weniger beunruhigend.

Eine muslimische Andersartigkeit, in der wir uns wiedererkennen

Die Dauerausstellung oder Referenzausstellung ist in sechs Phasen unterteilt. Der erste Teil ist der «Zeit der Unwissenheit» gewidmet, also der Periode vor der Ankunft des Islams auf der arabischen Halbinsel. In den folgenden Räumen geht es um die Entstehungsgeschichte des muslimischen Glaubens. Der Rundgang führt die Besuchenden weiter zur politischen Expansion der islamischen Zivilisation, die durch mehrere Beiträge zu wissenschaftlichen Entdeckungen grosser muslimischer Gelehrter beispielsweise aus den Bereichen der Mathematik oder Astronomie ergänzt wird. In der Folge dreht sich das Thema um den Niedergang der grossen Kalifate, um schliesslich mit einem Beitrag über die politisch-religiöse Neuordnung des Islams und mit einem aktuellen Thema, der transnationalen Umma, zu enden.

Der Islam, mittlerweile die Weltreligion mit der zweitgrössten Mitgliederzahl, wird immer vielfältiger und weltumspannender, ein Phänomen, das mithilfe eines Spiels von Spiegeln und Projektionen dargestellt wird. Hier können Besuchende des MUCIVI lebensgrosse Fotografien ganz unterschiedlicher Anhängerinnen und Anhänger des Islams bestaunen. Ob jugendlich oder erwachsen, verschleiert oder unverschleiert, mit oder ohne Bart, «rassisiert» oder nicht, im Trainingsanzug oder mit Djellabah, die MuslimInnen von heute werden auf ganz vielfältige Weise präsentiert. Dadurch bekommen Besuchende, die sich vielleicht nicht damit identifizieren können, die Gelegenheit, zumindest Empathie zu empfinden. In diesem letzten Raum treffen wir so auf die andere Muslimin oder den anderen Muslim, also einen Menschen, der auch unser Nachbar, unsere Freundin, unser Vorgesetzter oder sogar wir selbst sein könnte. Mit dieser Botschaft von Nähe verlassen die Museumsgäste, insbesondere Menschen, die nicht dem Islam angehören, die Ausstellung wieder.

Von der Schwierigkeit, den Islam darzustellen

Meines Wissens sind die Szenografie, der Auftrag, die Didaktik und die Wahl der Inhalte des MUCIVI unter den dem Islam gewidmeten Museen einzigartig. Anders als bei sonstigen Einrichtungen ist das Museum in La Chaux-de-Fonds eines der einzigen in Europa, bei welchem MuslimInnen das Projekt initiiert haben und auch an der Entwicklung beteiligt waren. Aus einer postkolonialen Perspektive heraus begrüsse ich diese Fortschritte eindeutig. Dennoch bietet die Ausstellung nur einen kleinen Einblick in das Thema. Die grosse Vielfalt der Strömungen und Rechtsschulen des Islams wird kaum oder gar nicht behandelt und die verschiedenen Ausgestaltungen dieser Glaubensrichtung bleiben auf der Strecke. Ebenso werden die aktuell kontroversen Debatten nicht angesprochen. Stattdessen wird der Islam durchgehend als gemässigt dargestellt, und extreme Ausformungen – insbesondere radikale Strömungen – werden nicht aufgegriffen. Zwar werden diese Themen bereits von der medienpolitischen Landschaft abgedeckt, aber möchten wir ihr wirklich das Monopol überlassen? Der Botschaft des Museums, die auf die Komplexität des Islams aufmerksam machen will, würde mehr Kraft verliehen, wenn das MUCIVI sein diesbezügliches Schweigen brechen würde. Diese bewussten oder unbewussten Unterlassungen verdeutlichen letztlich die Herausforderung, heute in der Schweiz über den Islam zu sprechen, gerade auch im kulturellen Bereich.

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[1] Siehe dazu den Dokumentarfilm von Patrick Ladoucette : «L’islam des lumières», 2012 vom Musée du Louvre über seine Sammlungen islamischer Kunst produziert.

[2] Jubin, S. 12.04.2016. «Notre musée montrera un islam positif». Le Temps, https://www.mucivi.ch/wp-content/uploads/2017/11/scanicm-20170412113420.pdf

[3] RTS. 28.06.2016. «Le Musée des civilisations de l’islam inauguré à La Chaux-de-Fonds», https://www.rts.ch/info/regions/neuchatel/7758105-le-musee-des-civilisations-de-lislam-inaugure-a-la-chauxdefonds.html(6.03.2024).

[4] Freda, S. 21.06.2016. «L’ombre des Frères musulmans plane sur le musée bientôt inauguré». L’impartial, https://doc.rero.ch/record/261663/files/2016-05-21.pdf (6.03.2024).

[5] Donzé, V. 22.06.2016. «Mucivi à La Tchaux: «Ce n’est pas un musée politique», https://www.lematin.ch/story/mucivi-a-la-tchaux-ce-n-est-pas-un-musee-politique-447674993436 (6.03.2024).

Literatur

Guidi, D. (2022). L’islam des musées. La mise en scène de l’islam dans les politiques culturelles françaises.Genève : Seismo.

Junod, B. et al. (dir). (2013). Islamic Art and the Museum: Approaches to Art and Archeology of the Muslim World in the Twenty-First Century. London: Saqi Books.

Puzon, K., Macdonald, S. & Shatanawi, M. (eds.). 2022. Islam and Heritage in Europe: Past Developments and Future Possibilities. London: Routledge.

Rieffel, V. (2011). Islamania : de l’Alhambra à la burqa, histoire d’une fascination artistique. Issy-les-Moulineaux : Beaux-arts éditions.