Szene aus dem islamischen Religionsunterricht in Ebikon 2022 (Foto: S. Sabadia)

Islam im Unterricht in Schule und Moschee

Andreas Tunger-Zanetti, Universität Luzern, 2023

Das Wichtige weitergeben an die nächste Generation – vor dieser Herausforderung stehen die islamischen Gemeinschaften in der Schweiz genau gleich wie Angehörige anderer Religionen. Als spät entstandene Minderheit in einem hoch säkularisierten Land verspüren sie diese Aufgabe umso dringlicher. Wie also gehen sie damit um? Was geschieht vonseiten des Staates? Was ist im schweizerischen Rechtsrahmen überhaupt möglich?

«Koranunterricht» in den Moscheen

Da fast alle Religionsgemeinschaften in der Schweiz privatrechtlich verfasst sind, liegt es auch in ihrem Ermessen, ob und wie sie religiösen Unterricht organisieren wollen. Die meisten Moscheevereine bieten eine praxisorientierte Unterweisung für das Primarschulalter an. Es geht darum, dass die Kinder jene Grundlagen lernen, die es ihnen erlauben, ab der Pubertät die religiösen Grundpflichten zu erfüllen. Im Vordergrund steht das Ritualgebet, für das die Betenden über etliche arabische Formeln und Koranverse verfügen sollen. Zudem sollen sie die korrekte Abfolge der Bewegungen, die Bedingungen für die rituelle Reinheit und die sonstigen Umstände des Gebets kennen. Das Arabische wird nicht als vollständige Sprache erlernt, sondern vom Schriftbild, der ungefähren Aussprache und der Bedeutung nur so viel, dass die Kinder sich am Text orientieren können.

Der Unterricht findet meist an Samstagen, Sonntagen oder an den schulfreien Mittwochnachmittagen statt und wird vom Imam oder von Erwachsenen mit unterschiedlich breiten religiösen und didaktischen Kenntnissen erteilt. Die Kinder schliessen den Unterricht oft mit einer Prüfung ab und erhalten an einem festlichen Anlass der Moschee ein Diplom. Dieser wichtige Abschnitt hat einen Stellenwert, den man durchaus mit Erstkommunion und Firmung bei katholischen oder mit der Konfirmation bei reformierten Christinnen und Christen vergleichen kann.

Bei weitem nicht alle muslimischen Eltern schicken ihre Kinder in den Moscheeunterricht. Manche finden ihn unwichtig, andere haben Vorbehalte gegenüber der Moschee oder können womöglich den Transport ihrer Kinder zur für sie ungünstig gelegenen Moschee nicht organisieren. Umgekehrt gibt es auch gänzlich private Lösungen: Insbesondere somalische Familien lassen gerne einen Hauslehrer kommen, der den Kindern die Grundlagen muslimischen Gottesdienstes beibringt.

26 Schulsysteme

Wie aber kommt Religion im Unterricht an der öffentlichen Schule vor? Da für das Schulwesen wie auch für den Bereich der Religionsgemeinschaften die Kantone zuständig sind, gibt es 26 verschiedene Rechtsordnungen hierfür. Eine Studie des Schweizerischen Zentrums für Islam und Gesellschaft an der Universität Freiburg und des Zentrums Religionsforschung an der Universität Luzern hat 2023 diese komplexe Lage analysiert und dargestellt.

Traditionell erhalten Kinder römisch-katholischer und evangelisch-reformierter Konfession, wenn die Eltern dies wünschen, in bestimmten Schulstufen Religionsunterricht. Diesen Unterricht verantworten die Landeskirchen, die vom jeweiligen Kanton als Körperschaften öffentlichen Rechts anerkannt sind. Eine Wirkung dieser öffentlich-rechtlichen Anerkennung ist das Recht, an der Schule einen Raum und im Stundenplan eine Zeit für diesen Unterricht zugeteilt zu bekommen. Die Religionslehrerinnen und -lehrer, von den Landeskirchen ausgebildet und beauftragt, erteilen den Unterricht bisweilen auch ökumenisch, das heisst gemeinsam, und lassen auf Wunsch in der Regel auch Kinder anderer Konfession oder Religion teilnehmen.

Religion kommt jedoch auch in den Unterrichtsfächern vor, die der Staat verantwortet. Da dieser in Religionsfragen zu Neutralität verpflichtet ist, ist hier die Sicht auf Religion nicht konfessionell, also bekennend, sondern folgt einem neutralen, religionskundlichen Ansatz, der zudem mehrere religiöse Traditionen beleuchtet. An diesem Sachunterricht müssen alle Schülerinnen und Schüler teilnehmen. Religion ist dabei nur eines unter vielen Themen des Faches, das auf der Primarstufe der Deutschschweiz «Natur, Mensch, Gesellschaft», in der Sekundarstufe «Ethik, Religionen, Gemeinschaft» heisst. In der Romandie heisst es «Ethique et cultures religieuses», im Tessin «Culture, religioni, mentalità». Die laizistischen Kantone Genf und Neuenburg haben die Religionskunde in das Fach Geschichte integriert. Muslimische Kinder, die keinen Unterricht in einer Moschee besuchen, hören so zumindest kurz etwas über ihre angestammte Religion und besuchen in manchen Fällen gemeinsam mit dem Rest der Klasse in Einzelfällen auch einmal eine Moschee und eine Kirche.

Lokale Versuche

Da die Zahl muslimischer Kinder in den letzten Jahrzehnten in manchen Gemeinden stark wuchs, überlegten muslimische Religionspädagoginnen und -pädagogen schon um das Jahr 2000, ob analog zum konfessionellen landeskirchlichen Unterricht an der Schule nicht auch ein islamischer stattfinden könnte. Er sollte in der lokalen Schweizer Landessprache und nach modernen didaktischen Grundsätzen erfolgen. In manchen Kantonen war dies möglich, weil das Recht, konfessionellen Unterricht zu erteilen, nicht explizit auf die Landeskirchen beschränkt war. So kam es in einigen wenigen Deutschschweizer Kantonen zu ersten lokalen Pilotversuchen.

Der erste Unterricht fand ab dem Jahr 2000 in zwei Schulhäusern in Wil (SG) statt, erteilt von Bekim Alimi, dem kurz zuvor zugezogenen Imam der lokalen albanischen Moschee. Unabhängig davon begann im Sommer 2002 ein ähnlicher Unterricht in zwei Schulhäusern in den Luzerner Gemeinden Kriens und Ebikon. Treibende Kräfte waren hier zwei engagierte Musliminnen, von denen die eine zuvor einen Schweizer Kurs des Instituts für Interreligiöse Pädagogik und Didaktik (IPD) in Köln absolviert hatte. Auch andere Absolventinnen der IPD-Kurse wurden an ihrem Wohnort aktiv. Doch nur in den Kantonen Zürich und Aargau entstanden 2002 und 2003 zwei weitere lokale Pilotversuche.

Szene aus dem islamischen Religionsunterricht in Ebikon 2023 (Foto: S. Sabadia)

Während die ersten Versuche nur minimale Strukturen hatten, entstand in Kreuzlingen (TG) etwas später ein breiter abgestütztes Projekt: Den Unterricht, den ab Sommer 2010 Imam Rehan Neziri erteilte, trug eine breite Allianz von Akteuren. Ihr gehörten neben der lokalen albanischen und der türkischen Moschee auch die Landeskirchen, die städtische Integrationsbeauftragte sowie Dozierende der Pädagogischen Hochschule an. Im Thurgau etablierte sich islamischer Religionsunterricht in der Folge auch in Sulgen (2019) und Romanshorn (2022). Ebenfalls im Sommer 2022 begann IRU in Neuhausen (SH).

Fragile Strukturen

Der Grossteil der IRU-Projekte hatte über viele Jahre Bestand, nachdem eine Anfangsphase erregter öffentlicher Debatte erst einmal überstanden war. Auch die Qualität gab nirgends Anlass, einen Versuch wieder abzubrechen. Im Gegenteil: Evaluationen des Unterrichts in Kriens und Ebikon sowie in Kreuzlingen hoben den integrierenden Wert des Unterrichts hervor. Für die muslimischen, oft moscheefernen Familien, deren Kinder ihn besuchen, bedeutet er ein Stück Anerkennung und Normalität. Inhaltlich können sich schulischer IRU, der Koranunterricht in der Moschee und der staatliche religionskundliche Unterricht ergänzen: Jede Form hat ihr eigenes Profil.

Der IRU ruht jedoch an den meisten Orten auf fragilen Strukturen. Er hängt stark vom Engagement von Einzelpersonen ab, ist unterfinanziert und es fehlen Programme für Qualitätssicherung und Weiterbildung sowie der Nachwuchs an Lehrkräften.