Mehr als ein Konzept ist Gender ein Ansatz, der die sozialen Kategorisierungen von männlich und weiblich hinterfragt und die Überschreitungen dieser Binarität unter die Lupe nimmt. Eine Gender-Perspektive regt dazu an, über diese a priori gegebenen Kategorien hinauszugehen, und spornt dazu an, über die Prozesse ihrer Konstruktion und ihre Auswirkungen nachzudenken. Von einer Gender-Perspektive in der Islamwissenschaft auszugehen, bedeutet, dass man eine reduzierte Gleichung überwinden muss, nämlich die Annahme „die Frau im Islam“ sei die einzige Art und Weise „Frau zu sein“, und diese einer Art und Weise „Mann zu sein“, gegenüberstellt. Dieser Blickwinkel setzt die Existenz eines monolithischen Islams voraus, der von seinen gelebten Realitäten dekontextualisiert ist. Ein solcher Ansatz tendiert dazu, Gender und Islam auf Asymmetrien zwischen Muslime und Musliminnen zu übersehen und die Agency der Akteure und Akteurinnen sowie die Historizität und Kontextualität der Ausdrucksformen von Weiblichkeit und Femininität, Männlichkeit und Maskulinität und natürlich des Islams zu ignorieren. Die Anwendung eines Gender-Ansatzes auf den Islam eröffnet somit zahlreiche Reflexionsfelder, unter anderem:
- Wie wurden bei der Erstellung des islamischen Kanons die Geschlechtsunterschiede festgelegt?
- Welchen Platz nehmen die Exegesen weiblicher Persönlichkeiten in der Konstruktion religiöser Normen ein?
- Wie bringt der Islam als Form der Kommunikation mit dem Göttlichen und als Wertesystem differenzierte Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit (wieder) hervor?
- Wie hat die Einwanderung die traditionellen Geschlechterrollen verändert und die Rolle der Frau in der Gesellschaft neu positioniert?
- Wie drücken Musliminnen und Muslime ihren Glauben und ihre Spiritualität aus und wie tun sie es?
- Wie produziert eine religiöse Lesart des islamischen Korpus Normen in Bezug auf sexuelle Orientierung und sexuelle Praktiken?
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