«Am Anfang war ich begeistert von diesen muslimischen Influencern. Für mich war das ein neuer Zugang zur Religion, so nah am Alltagsleben. Influencer sind Menschen wie du und ich, keine religiösen Spezialisten. Sie stehen vor den gleichen Herausforderungen wie du und ich und sie zeigen, wie sie mit diesen Herausforderungen umgehen und den Islam im Alltag leben … das hat mir geholfen. Aber irgendwann wurde es mir einfach zu viel, zu viele Informationen, zu vieles, was man noch machen könnte oder müsste, zu viele Meinungen, die sich widersprechen. Und wem soll ich glauben? Welchen Hintergrund und welche Ausbildung haben diese Influencer überhaupt? Eigentlich weiss man ja doch nicht viel über diese Leute, ausser halt eben das, was sie auf ihren Profilen von sich zeigen. Also versuche ich jetzt eine Kombination zu leben aus dem, was die Leute im Netz sagen, was ich in der Moschee höre, beispielsweise vom Imam, und dem, was für mich stimmt.»

Serhat, 24 Jahre

Von der Moschee zum Instagram-Feed: Religiöse Influencer*innen als alternative Autoritätsfiguren?



Dominik Müller, Universität Zürich, 2024

Als globales Phänomen ist die Digitalisierung zu einem integralen Bestandteil des sozialen, wirtschaftlichen, politischen und religiösen Alltags vieler Menschen geworden. Digitale Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) prägen die Art und Weise, wie Menschen miteinander kommunizieren und interagieren, definieren zeitliche und räumliche Grenzen neu und ermöglichen alternative Formen von Engagement und Aktivismus, aber ebenfalls von Überwachung und Einflussnahme. Auch im Hinblick auf das religiöse Leben schafft die Digitalisierung neue soziale Räume, Formen der Vergemeinschaftung, Formen der religiösen Praxis und neue Berufsgruppen. Zu den bekanntesten Berufsgruppen, die durch die Digitalisierung entstanden sind, gehören wohl die sogenannten Influencer*innen. Obwohl uns solche Influencer*innen in unserem digitalen Leben fast täglich begegnen und sie, wie das einleitende Zitat andeutet, eine relevante Rolle im religiösen Alltag spielen können, gibt es dazu noch relativ wenig Forschung. Dieser Artikel soll daher einen Einblick in dieses dynamische Thema geben und als Grundlage für weitere Diskussionen dienen. Bereits die einführenden Bemerkungen von Serhat werfen eine Reihe von Fragen auf, die im Rahmen dieses Artikels thematisiert werden sollen: Wer sind diese muslimischen Influencer*innen? Welche Rolle spielen sie im Alltag von Muslim*innen in der Schweiz? Und in welcher Beziehung stehen sie zu bestehenden Autoritätsfiguren, wie Imamen und Religionslehrer*innen, in Online- und Offline-Kontexten?

Von Fashionistas zu «Erfolgsmuslim*innen»: Typen muslimischer Influencer*innen

Influencer*innen sind digitale Akteur*innen, die in sozialen Medien, wie Instagram, TikTok oder Facebook, und anderen internetbasierten Kommunikationskanälen aktiv sind, wobei ihre Haupttätigkeit darin besteht, in regelmässigen Abständen Inhalte wie Texte, Bilder, Audios und Videos zu verschiedenen Themen zu veröffentlichen und dadurch eine soziale Interaktion zu initiieren. Wie der Name bereits andeutet, wird davon ausgegangen, dass Influencer*innen aufgrund ihrer Onlinepräsenz und ihrer Fähigkeit, Inhalte ansprechend zu präsentieren und zielgruppengerecht zu vermitteln, einen Einfluss auf die Meinungen und Entscheidungen ihrer Follower*innen in verschiedenen Lebensbereichen ausüben können. Insbesondere für Jugendliche und junge Erwachsene, die als digital natives gelten, können Influencer*innen demnach als Multiplikator*innen oder Meinungsmacher*innen eine bedeutsame Informations- und Orientierungsquelle darstellen (Deges 2018, Kernen et al. 2021, Sorgenfrei 2021).

Die Zahl muslimischer Influencer*innen in den sozialen Medien wächst stetig und es gibt diverse Typen von Influencer*innen: von muslimischen Fashionistas bis hin zu Influencer*innen, die die Produktivität, die körperliche oder geistige Gesundheit oder das religiöse Wissen ihrer Follower*innen fördern wollen. Zur Orientierung im vielfältigen Feld der digitalen Akteure bieten sich verschiedene Typologisierungsansätze an. So können Influencer*innen beispielsweise nach ihrer Reichweite kategorisiert werden (von Nano- bis Makro-Influencer*innen) oder es kann zwischen Influencer*innen differenziert werden, die durch bezahlte Kooperationen einen finanziellen Mehrwert aus ihren Onlineaktivitäten generieren, und solchen, die dies nicht tun. Weiterhin kann zwischen personenzentrierten und themenzentrierten Accounts unterschieden werden. Schliesslich können Influencer*innen auch nach den von ihnen geteilten Inhalten kategorisiert werden. Müller (in Vorbereitung) schlägt beispielsweise als Bereiche a) Bildung, b) Mode, Beauty und Lifestyle, c) Persönlichkeitsentwicklung und Business, d) Gesundheit, e) Kunst und Satire, f) Aktivismus und Partizipation, g) Ehe, Familie und Erziehung sowie h) Medien und Unterhaltung vor.

Diese Kategorisierung hilft, die vielfältige digitale Landschaft der Influencer*innen besser zu überblicken und deren jeweiligen Wirkungsbereich zu identifizieren. Sie zeigt aber auch, wie vielfältig die Rollen von Influencer*innen in der heutigen digitalen Welt sind ‒ von Mode und Lifestyle bis hin zu Bildung, Spiritualität und sozialem Engagement. Im Folgenden sollen einige Influencer*innen beispielhaft vorgestellt werden.

Fallbeispiele von muslimischen Influencer*innen[1]

Fashion, Beauty und Lifestyle

Influencerin 1, Anfang 30, arbeitet im Gesundheitsbereich und ist zugleich Studentin, Model und Inhaberin eines Kleidergeschäfts. Zudem ist sie mit über 60’000 Follower*innen auf Instagram wohl eine der erfolgreichsten Fashion- und Lifestyle-Influencer*innen im deutschsprachigen Raum. Auf ihrem Instagram-Profil präsentiert sie in einer Mischung aus professionell gemachten Porträts, Selfies und Videos sogenannte «modest fashion», was für sie «Schlichtheit» bedeutet und sie mit einem «islamischen Kleidungsstil» verbindet. Ihre Beiträge gehen über das Thema Mode hinaus und spiegeln vielmehr einen ganzen Lebensstil wider. So teilt sie auf Instagram auch Inhalte zu Reisen, Essen und Produkten des täglichen Gebrauchs.

Persönlichkeitsbildung und Business

Influencer 2 ist Wirtschaftswissenschaftler mit Erfahrung in international tätigen Unternehmen. Er bezeichnet sich selbst als Coach, Autor, Blogger und Referent und hat mittlerweile ein eigenes Unternehmen gegründet, das online und offline Dienstleistungen für Privatpersonen und Unternehmen im Bereich der islamischen Persönlichkeitsentwicklung anbietet. Seine Coachings sollen Privatpersonen helfen, in verschiedenen Lebensbereichen erfolgreich zu sein, indem sie islamische Tugenden in ihren Alltag integrieren. Darüber hinaus bietet er Business-Coachings für Muslim*innen an, die sich selbstständig machen wollen, sowie für Unternehmen, die eine muslimische Zielgruppe ansprechen möchten. Auf Instagram hat er fast 20’000 Follower*innen und teilt Beiträge zu seinen Coachinginhalten sowie Empfehlungen zu Themen wie Sport, Ernährung, Familie und aktuellen Ereignissen.          

Bildung und Spiritualität

Influencer 3 ist islamischer Theologe an einer deutschen Universität und nutzt Instagram unter einem Pseudonym, um sein Wissen zu vermitteln. Mit seinen über 4’000 Followern teilt er vor allem Zitate islamischer Gelehrter, die er in den Kommentaren zu seinen Beiträgen erläutert. Zusätzlich versieht er seine Beiträge mit eigenen digitalen Illustrationen und verbindet so islamische Wissensdiskurse mit digitaler Kunst. In einer eigenen Reihe von Posts bietet er auch eine «Sufi-Interpretation» zu populärkulturellen Werken und Texten aus anderen religiösen Traditionen an. Der Theologe bindet seine Follower*innen aktiv ein, indem er sie beispielsweise Fragen stellen lässt, die er in seinen Instagram-Storys beantwortet.

Die Tätigkeit als Influencer*in

Aus diesen drei kurzen Beispielen lassen sich bereits allgemeine Merkmale von Influencer*innen herauslesen. Häufig stellt das «Influencer*in-Sein» nur einen Teilaspekt der vielfältigen Identifikationen und beruflichen Rollen der jeweiligen Person dar. Dies zeigt sich deutlich in der Vielseitigkeit und den unterschiedlichen Bereichen, in denen die vorgestellten muslimischen Influencer*innen tätig sind, aber auch in ihren vielfältigen biografischen Werdegängen.

Viele Influencer*innen haben die Karriere als Influencer*in nicht angestrebt, sondern sind eher zufällig und sukzessive in diese Rolle hineingewachsen. Sie haben oft damit begonnen, ihre Leidenschaften, Interessen oder ihr berufliches Wissen auf Social-Media-Plattformen zu teilen, was mit der Zeit eine grössere Zahl von Follower*innen anzog. Dieser Prozess ist oft von einer kontinuierlichen Weiterentwicklung und Anpassung an die sich wandelnden Interessen und Bedürfnisse der Follower*innen geprägt. Diese Prozesshaftigkeit des Influencer*innen-Daseins in Interaktion mit den Follower*innen soll anhand eines Zitats von Hamza, einem Influencer im Bereich der religiösen Bildung, veranschaulicht werden:

Ich habe gemerkt, dass die Jungs manchmal nicht ganz verstanden haben, was der Imam in seinem Unterricht eigentlich sagen wollte. Das lag nicht am Imam, er war sehr gebildet, aber er konnte es nicht so gut vermitteln. Also habe ich angefangen, seine Aussagen aus dem Unterricht «Social-Media-tauglich» aufzubereiten und auf meinem privaten Insta-Account zu posten. Irgendwie kam das gut an, denn die Leute begannen meine Posts zu teilen. Und mittlerweile habe ich fast 3’000 Follower. Meine Followers stellen mir nun auch Fragen, die ich dann versuche so gut wie möglich zu beantworten. Manchmal bereite ich die Beiträge gemeinsam mit dem Imam vor, manchmal poste ich etwas, was ich in anderen Kontexten gehört oder gelesen habe. Die Quellen gebe ich natürlich immer an. Ich sehe mich nicht als Influencer, sondern eher als Vermittler. (Hamza, 29 Jahre alt)

Ein Merkmal erfolgreicher Influencer*innen ist, dass sie aktiv mit ihren Follower*innen interagieren, Kommentare beantworten und dadurch ein Gefühl von Nähe und Vertrautheit erzeugen. Dies wird bereits im Eingangszitat von Serhat deutlich, insbesondere in seiner Aussage «Influencer sind Menschen wie du und ich». Das Gefühl von Nähe und Vertrautheit spielt für die Rezipient*innen also eine wesentliche Rolle, wenn es darum geht, einer Influencerin oder einem Influencer zu folgen. Ein weiteres und damit verbundenes Merkmal beliebter Influencer*innen ist die eingangs angesprochene Vielseitigkeit. Sie kombinieren verschiedene Interessen und Fähigkeiten, was ihre Inhalte persönlich und authentisch macht. Diese Authentizität ist wiederum entscheidend für die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen, das sie bei ihrer Zielgruppe aufbauen. Influencer*innen präsentieren sich folglich nicht nur als Expert*innen auf ihrem Gebiet, sondern auch als reale, greifbare Personen mit eigenen Herausforderungen, Erfahrungen und Problemen.

Influencer*innen als alternative Autoritätsfiguren? Wirkungsweise und Rolle von Influencer*innen

Abschliessend soll der Frage nachgegangen werden, welchen Einfluss Influencer*innen tatsächlich haben und ob sie als alternative Autoritätsfiguren dienen können, wie es in öffentlichen Diskursen oft vermutet wird und wie es der Begriff «Influencer*in» bereits suggeriert. Dafür soll im Folgenden der Fokus auf die Follower*innen gelegt werden. Zaman (2012, 29) beschreibt religiöse Autorität als «das Bestreben, die Bemühungen und die Fähigkeit, den Glauben und die Praxis von Menschen aus ‹religiösen› Gründen zu beeinflussen» (Übersetzung durch den Autor). Gemäss dieser Definition könnte die Wirkungsweise von muslimischen Influencer*innen durchaus als eine Form von Autorität betrachtet werden. Wie verschiedene Studien gezeigt haben, dienen Influencer*innen gerade Jugendlichen und jungen Erwachsenen häufig als Vorbilder. Influencer*innen wird von ihren Follower*innen eine Expertise zugesprochen, die sich jedoch von gängigen Vorstellungen von Expertise unterscheidet. Sie basiert oftmals nicht auf institutionalisierten Bildungsabschlüssen oder Positionen innerhalb von Institutionen, sondern vielmehr auf einer durch Erfahrung und Engagement generierten Alltagsexpertise in einem spezifischen Feld.

Gleichzeitig können das Folgen von Influencer*innen und der damit verbundene soziale Vergleich mit den vermeintlich überlegenen Influencer*innen auch Druck und Überforderungsgefühle bei den Follower*innen auslösen. Obwohl Influencer*innen als Inspiration dienen können, erscheinen die von ihnen verkörperten Ideale, wie Schönheit, Wissen, Erfolg oder Frömmigkeit, oft als unerreichbar. Auch die hohe Frequenz, mit der Influencer*innen Inhalte teilen müssen, um mit der Funktionsweise sozialer Medien Schritt halten zu können, kann auf die Follower*innen aufdringlich wirken und Druck ausüben, da es schwierig ist, mit dieser Informationsflut umzugehen und sich beständig zu vergleichen. Darüber hinaus kann die permanente Präsenz von Influencer*innen und ihren Inhalten zur fear of missing out (FOMO) beitragen, einer Form der sozialen Angst, die entsteht, wenn man das Gefühl hat, relevante Entwicklungen, Erlebnisse oder Gespräche zu verpassen. All diese Dimensionen kommen auch im Zitat von Serhat zum Ausdruck. Während er die Influencer*innen anfangs noch als Bereicherung für seine religiöse Entwicklung empfand, weil sie ihm einen neuen Zugang zur Religion ermöglichten, führten das Überangebot an Informationen und Meinungen sowie die Intransparenz hinsichtlich der Hintergründe der Influencer*innen schliesslich zu Verunsicherung und Überforderung.

Fazit

Religiöse Influencer*innen repräsentieren ein äusserst dynamisches und komplexes Phänomen, das sich an der Schnittstelle von Religion, Digitalisierung und sozialen Medien bewegt. Die vorgestellten muslimischen Influencer*innen illustrieren die Vielfalt dieser neuen digitalen Akteur*innen, wobei die Themen von Mode und Lifestyle über Persönlichkeitsentwicklung bis hin zu Bildung und Spiritualität reichen. Die Inhalte und die Art und Weise, wie sie mit ihren Follower*innen interagieren, zeigen, dass sie Teil eines tiefgreifenden kulturellen und sozialen Wandels sind.

Ein zentrales Element dieses Wandels ist die Herangehensweise an die Vermittlung und die Rezeption religiöser Inhalte. So können Influencer*innen nicht nur als Informationsquelle dienen, sondern auch als Vorbilder und Meinungsmacher*innen, die aufgrund ihrer Alltagsexpertise und ihrer Fähigkeit, Inhalte ansprechend aufzubereiten und lebensweltlich zu vermitteln, eine gewisse Autoritätsposition bei ihren Follower*innen erreichen können. Wie der Beitrag ebenfalls gezeigt hat, ersetzen Influencer*innen «traditionelle» Autoritätsfiguren jedoch nicht vollständig, sondern ergänzen diese im religiösen Alltag und fordern sie teilweise heraus, indem sie Zugänge zu religiösen Inhalten und Diskursen ausserhalb institutionalisierter Strukturen eröffnen.

Gleichzeitig verdeutlicht der Artikel die Herausforderungen, die mit der zunehmenden Präsenz religiöser Influencer*innen einhergehen. Die Fülle an Informationen und Meinungen, die durch diese Influencer*innen verbreitet werden, kann für die Follower*innen sowohl inspirierend als auch überfordernd sein. Es entsteht ein Spannungsfeld zwischen der Faszination für neue Zugänge zur Religion und dem Druck, sich an den ständig präsenten Idealen und Lebensstilen im digitalen Raum zu messen.

[1] Sämtliche Profile der Influencer*innen wurden anonymisiert oder durch ein Pseudonym ersetzt.

Literatur

Baumann, M., Jürgen E., Silvia M. & Tunger-Zanetti A. (2017). «Hallo, es geht um meine Religion!» Muslimische Jugendliche in der Schweiz auf der Suche nach ihrer Identität. Forschungsbericht. Luzern: Universität Luzern, Zentrum Religionsforschung.

Bunt, G. R. (2018). Hashtag Islam: How cyber-Islamic environments are transforming religious authority. The University of North Carolina Press.

Rozehnal, R. T. (2022). Cyber Muslims: Mapping Islamic digital media in the internet age. Bloomsbury Academic.